Maluma 15
Kapitel XV
Aus der Sicht von Luca:
Die Wachen führten ihn den Weg hinab. Betrübt folgte er ihnen. Warum immer er? Warum hielten alle die Kinder von Hermes für Diebe? Na gut, er musste zugeben, er hatte schon oft etwas mitgehen lassen… Aber eine Krone? Niemals. Die Wachen führten zu einem Gebäude außerhalb der Stadt. Es war anders als die anderen Gebäude – nicht irgendwie dekoriert, sondern es strahlte schlichte Bedrohlichkeit aus. Es war kein Ort an dem er gerne sein würde. Die Soldaten führten ihn zu dem stählernen Eingang. Kurz bevor er durchging, schaute er nach oben an die Oberfläche. Wann würde er die wohl wiedersehen? Die Männer zerrten ihn durch das Tor in einen Innenhof. Überall waren Zellen mit bedrohlich wirkenden Meermännern, die ihn finster anstarrten. Die Soldaten schubsten ihn nach vorne. Er wurde zu einem kleinen Eingang an der rechten Seite des Innenhofes geführt. Rechts neben der Tür war eine Zelle mit einer düster wirkenden Nereide. Sie hatte ihren ehemaligen Glanz bereits verloren. »Bau keinen Mist Kleiner. Du würdest es bereuen«, die Nymphe wirkte so, als wüsste sie, was sie sagte. Sie schien müde, resigniert. Dann schoben die Wachen ihn in den dunklen Gang. Bevor er irgendwas erkennen konnte, hatte er ein Tuch vor den Augen. In völliger Dunkelheit wurde er durch die Gegend gezerrt und konnte erst wieder etwas sehen, als er in einer spärlich beleuchteten Zelle saß. Er schaute sich um. Links neben der Tür befand sich eine mit Algen überwucherte Pritsche, auf der er anscheinend schlafen sollte. Sonst war der Raum völlig leer. Die Wand, die sich rechts neben der Tür befinden müsste, wurde durch massive Eisenstangen ersetzt. In der Zelle neben ihm, saß die gleiche zierliche Nymphe, die er schon draußen gesehen hatte. Sie schwiegen lange. Dann traute Luca sich etwas zu sagen: »Warum bist du hier?« »Was geht dich das an, Kleiner?«, antwortete sie mürrisch. Sie schwiegen wieder. Dann seufzte die Nereide. »Na gut. Man hat mich wegen Mordes verhaftet.« Luca starrte die Fremde an. »Komm runter Kleiner, ich war‘s nicht.« Er zweifelte zwar, beschloss aber, ihr erstmal zu glauben. »Ich bin auch unschuldig.« »Schön für dich, dann geht es dir wie den meisten anderen hier.« Es kehrte wieder Stille ein. Nach ein paar Minuten fragte seine Nachbarin halb genervt, halb interessiert: »Weswegen bist du hier?« Erstaunt über ihr Interesse antwortete er: »Diebstahl. Mir wird vorgeworfen, die Krone der Königin gestohlen zu haben.« Sie schien leicht beeindruckt. »Na gut. Vielleicht bist du doch ein interessanterer Fall. Wie heißt du?« »Luca. Und…« »Mariam. Mein Name ist Mariam. Luca, was führt dich in diese Stadt? Du siehst nicht so aus als kommst du von hier.« »Ein Auftrag. Unsere eigentliche Aufgabe, ist nach Delphi zu fahren, aber im Traum wurde Ava gesagt, sie solle herkommen, um die Schlange zu töten oder so.« Er zuckte mit den Schultern, aber Mariam klang interessiert. »Meinst du mit Ava, die Ava? Die neugewordene Menschenprinzessin?« »Najaa…irgendwie schon. Zumindest ist sie ein Mensch und die „Tochter“ der Königin, aber so ganz verstehe ich das nicht.« Sie redeten noch lange so weiter. Luca erfuhr, dass Mariam 22 Nereidenjahre alt war, was so ungefähr 20.000 Menschenjahren entsprach. Dazu kamen noch weitere Infos über ihren Geburtsort und so weiter. Luca, für seinen Teil, erzählte ähnlich viel. Von seinem Geschick mit dem Bogen, bis zu dem Tag, an dem er erfuhr, dass er ein Halbgott ist. Nur seine Weissagung ließ er weg. Er erzählte niemandem davon. Langsam wurde es dunkler in den Zellen, und die Geräusche weniger. Es kehrte sozusagen Ruhe ein, wenn man das in einem Gefängnis so sagen kann. Auch Luca und Mariam fanden endlich ein Ende und legten sich auf ihre Pritschen. Luca dachte nach. Über seinen Tag, über das, was er eben erfahren hatte, einfach über alles, was passiert war. Sein Kopf berührte die kalte Wand. Auf genau diese Kälte konzentrierte er sich, als er endlich einschlief.
Er sah alles leicht verschwommen. Vor seinem inneren Auge tauchten Szenen auf. Szenen aus dem Gefängnis, Szenen aus dieser Zelle. Luca sah, wie fremde Hände ein Loch in ihn schlugen. Er spürte jeden einzelnen Schlag, als würde man in seinen Bauch schlagen. Die Hände, die ihm diese Schmerzen bereiteten, waren klobig, behaart und vor allem: schuppig. Vielleicht denkt ihr jetzt, ich meine Hautschuppen, wie sie öfter auf der Kopfhaut vorkommen, aber da muss ich euch enttäuschen. Es zogen sich blau-grüne Fischschuppen über die Arme, sowie einen großen Teil der Hand. Bevor er darüber nachdenken konnte, wechselte die Szene. Er sah eine zierliche Nereide, wie sie ihn immer mehr zusammensetzte. Er erkannte die Nereide: Es war Mariam. Sie sah jünger und fröhlicher aus. Es war ein Zeitpunkt, bevor ihr Leben den Bach herunter gelaufen war. Die Szene spiele 100 Jahre vor ihrer Festnahme, für eine Nereide ein Wimpernschlag. Sie hatte erzählt, dass sie kurz nach der Eröffnung festgenommen war, aber Mariam hatte nichts darüber erzählt, dass sie am Bau beteiligt gewesen war, das wunderte ihn. Wieder wechselte die Szene. Diesmal sah er sich selbst, wie er aus dem geschlagenen Loch Steine entnahm. Das überraschte ihn. Er wusste zwar, dass Halbgötter nicht normal träumten, aber nicht, dass sie von der Zukunft träumten. Wahrscheinlich fragt ihr euch, woher ich wusste, dass das, was ich gesehen habe, echt war und nicht nur ein stinknormaler Traum. Man könnte es so zusammenfassen: Ich habe immer die Wahrheit geträumt. Schon als ich ein kleines Kind war, nur damals hielt ich das für normal, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Ab da hielt ich diese Fähigkeit geheim, nur meine Mutter wusste davon. Sie kannte alle meine Geheimnisse.
Langsam verblasste sein Traum, bis er blinzelnd aufwachte.
Als er sich hinsetzte, sah er, dass Mariam ihn fasziniert anstarrte. Er fasste sich an den Kopf, er hatte höllische Schmerzen und seine Schläfen pochten wie wild. »Du bist wach.« »Äh, ja, denke schon«, stellte Luca leicht desorientiert fest. Mariam deutete ein Lächeln an. Plötzlich kam ihm eine Idee. Er klopfte an die Stelle im Stein, die er im Traum gesehen hatte. Es klang hohl! Aufgeregt suchte Luca nach losen Steinen und fand schnell heraus, dass die Wand an dieser Stelle praktisch nur aus festem Sand bestand. Er löste ein paar der Sandkörner mithilfe einer Pfeilspitze, die er einschmuggeln konnte. Mariam schaute mit weit aufgerissenen Augen zu. »Woher hast du die?« Sie zeigte auf die Pfeilspitze. Luca zuckte mit den Schultern und antwortete: »Die haben mich nur grob durchsucht und nicht meine Geheimverstecke gecheckt. Nur leider ist der Pfeil vor ein paar Tagen zerbrochen und ich hatte nur noch die Pfeilspitze.« Er arbeitete weiter, Stück für Stück wurde das Loch größer. Als er spürte, dass er kurz vor dem Durchbruch war, unterbrach er sich trotz seiner Neugierde. »Wann ist die beste Zeit zum Ausbrechen?«, fragte er Mariam. »Naja…«, sagte sie zögerlich, »nachts, da ist es am dunkelsten, sie erhöhen zwar die Wachen, aber deine Chance ist am besten. Außerdem… kenn‘ ich ein Schlaflied.« Sie wartete seine Antwort ab. Nach kurzem Überlegen sagte er schließlich: »Gut, dann warten wir bis zur Nacht.« Sie nickte. Der Tag ging nur langsam vorbei, sie redeten ununterbrochen, aber es wurde nicht dunkler. Das erste Mal seit er vier Jahre alt war, machte er einen Mittagsschlaf. Komischerweise träumte er nicht. Nur von völliger Schwärze… Als er aufwachte, war er müder als zuvor. Mariam starte ihn erwartungsvoll an. »Es ist Mitternacht. Du musst den Tunnel beenden, alle schlafen bereits.« Sie zeigte in den schwach beleuchteten Innenhof. Die Wachen, die eigentlich patrouillieren sollten, lagen zusammengekauert auf dem Boden, genau wie alle anderen, nur sie beide waren noch wach. Sofort fing er an weiter zu graben: Erst ein bisschen, dann immer mehr. Der Weg war frei. Er schaute Mariam an, sie schaute ihn an. »Du…kannst nicht mitkommen.«, stellte er traurig fest. »Egal, sorg‘ dafür, dass er für seine Anschuldigungen gegenüber diesem Volk bestraft wird. Finde Beweise gegen ihn.« Luca nickte. »Danke. Ich habe dir meine Freiheit zu verdanken.« Traurig kletterte er aus der Zelle. Auf leisen Sohlen schlich er zum Ausgang und öffnete die Tür mit einem lauten Quietschen. Angsterfüllt drehte er sich um. Puhhh, alle schliefen noch. Noch vorsichtiger schob er sich aus der schweren Metalltür. So leise wie möglich schlich er zum Tor und drückte die Klinke herunter. Aber die Tür war abgeschlossen. Vorsichtig schaute er sich um. Auf der anderen Seite des Innenhofes schlief ein Mann mit großem Schlüsselbund. Er war Lucas letzte Hoffnung, denn es wurde langsam wieder heller. Schnell, aber leise, huschte er zum Wärter und versuchte vorsichtig den Schlüssel aus seiner Hand zu nehmen. Gerade als er es geschafft hatte, bewegte sich der Mann. Shit! Schnell nahm Luca den Schlüssel und rannte zurück, nicht mehr darauf achtend, keine Geräusche zu machen. Schnell probierte er die Schlüssel aus. Keiner passte! Erst der letzte, ein unscheinbarer Goldschlüssel (alle Schlüssel hier bestanden aus Gold) erfüllte Lucas Wunsch, klackend öffnete er das Tor. Es ging mühelos auf. Luca drehte sich ein letztes Mal um. Mariam bedeutete ihm zu gehen, was er nach einem kurzen Abschiedsgruß befolgte. Nachdem er aus der Tür getreten war, fiel sie krachend ins Schloss.
Die Buchreihe ist eine Weiterführung der Buchreihen „Percy Jackson“, „Helden des Olymp“ und „Die Abenteuer des Apollo“ von Rick Riordan.